Die Geschichte der
Passanten beginnt in der Saison 95/96, als sich Leute aus dem aktiven
Teil der St.Pauli Fanszene zusammentaten, um gegen die zunehmend
schlechtere Stimmung bei Heim- und Auswärtsspielen vorzugehen.
Der Name stammt dabei aus einer Videotext-Schlagzeile des lokalen
Fernsehsenders „Hamburg 1“, in der von „unbeteiligten Passanten und
HSVern“ die Rede war. Den genauen Inhalt dieser Überschrift überlassen
wir jetzt mal der Phantasie des Lesers.
Die Bezeichnung „Ultras“ war zu dem damaligen Zeitpunkt kein Thema, da
diese in Deutschland noch nicht verbreitet waren. Die auf St.Pauli nicht
wirklich beliebten Gruppe des Lokalrivalen (Hamburg Ultras) war auf eine
andere Weise extrem, hatte jedoch nichts mit der italienischen Subkultur
gemeinsam.
Wenn man so will, kann man diese noch relativ lose Ansammlung von
St.Pauli-Fans als so etwas wie erste Generation der Passanten
bezeichnen.
Die Aktionen der Anfangszeit beschränkten sich vor allen Dingen auf den
Versuch in der Gegengerade einen eigenen Stimmungsmob zu etablieren, was
aber nicht wirklich von Erfolg gekrönt war. Der Grund des Misserfolgs
lag in der Beschaffenheit der Gegengerade, die eine versammelte Gruppe
auf den Stehplätzen (damals) nicht zuließ.
Optische Ausrufzeichen wurden zu der damaligen Zeit keine gesetzt,
abgesehen von dem Aufruf die gelegentlich verteilten Handzettel nach dem
Lesen als Konfetti zu benutzen.
Zu Beginn der Spielzeit 96/97 wurde versucht einen Stimmungsblock in der
Meckerecke zu etablieren. Hier gestaltete sich das Auftreten als
geschlossene Gruppe deutlich einfacher als in der dicht gedrängten
Gegengerade, wirklich von Erfolg wurde auch dieser Versuch nicht
gekrönt.
Optisch konnten hingegen die ersten kleineren Aktionen gestartet werden,
wie z.B. mit einer aus zusammengenähten Totenkopf- und braun-weißen
Fahnen bestehenden Blockfahne, das „Euch Uwe klaut“ Transpi beim Derby
oder einer Aktion mit weißen Luftballons in Bochum.
Parallel zum Namen Passanten wurde damals auch noch der Name „Support
Group“ verwendet, primär um von den Umständen der Namensfindung etwas
abzulenken.
Der Abstieg aus der ersten Liga bildete so etwas wie die Grundlage für
die nun folgende zweite Generation der Passanten in der Saison 97/98.
Wollten zu Beginn der Passanten mehr oder weniger alle Personen des
„Inner Circles“ sich aktiv an der Gruppierung beteiligen, so war nun ein
Rückgang der Mitglieder zu verzeichnen. Dies bedeutete für die Gruppe
aber keineswegs einen Rückschritt, sondern kann eher als der Startschuss
der Ultrakultur am Millerntor angesehen werden.
Die Passanten bekamen mehr und mehr eine eigene Vision und Mentalität.
Nach den vergeblichen Bemühungen auf den Stehplätzen der Gegengerade
einen Stimmungsbereich zu etablieren, wurde mit der Gründung der „Singing
Area“ auf den Sitzplätzen in Block 1 ein neuer Versuch gestartet.
Erstmals wurde dieser Bereich am 07.11.1997 beim Spiel gegen Carl Zeiss
Jena bezogen. Der Erfolg dieser Aktion war für die damalige Zeit
überwältigend: eine Stimmung wie sie das Millerntor schon lange nicht
mehr erlebt hatte und nicht wenige waren der Meinung, dass der legendäre
Sieg, mit zwei Toren in der Nachspielzeit, ohne die Singing Area nicht
möglich gewesen wäre.
Der Verein konnte davon überzeugt werden, die Sitzplatztickets für Block
1 billiger zu verkaufen, da die Singing Area als eine Bereicherung für
die Fanszene anzusehen war. Um einen Missbrauch der günstigen
Sitzplatztickets zu verhindern, wurden die Karten für den Block 1
ausschließlich im Fanladen verkauft.
Dieser Umstand und die besondere Lage des Blocks hatten jedoch schnell
zur Folge, dass in der sehr individuellen St.Pauli Fanszene der Vorwurf
einer elitären Gruppenbildung in Block 1 aufkam. Dennoch wurde von
Passantenseite zusammen mit dem Fanladen beschlossen den Block 1 in der
Fanszene zu etablieren.
Neben dem akustischen Support wurden auch die ersten Fanutensilien aus
Italien besorgt: Bestellt wurden unter anderem die ersten drei
Schwenkfahnen und ein Megaphon, um die Stimmung in Block 1 besser zu
koordinieren.
Auf das Megaphon wurde später dann wieder verzichtet, da man der Meinung
war, dass sich gute Gesänge auch ohne ein solches durchsetzen würden.
Die neuen Gesänge waren eine bunte Mischung aus Frankreich und Italien (Aux
Armes, Allez), England (come on you boys in brown), Eigenkreationen
(Freude schöner Fußballzauber) und Hamburger Liedgut (Das Herz von
St.Pauli, Äppel wollen wir klaun) waren, die allesamt von den Passanten
eingeführt wurden.
Im letzten Heimspiel der Saison gab es gegen Meppen am Millerntor auch
die erste kleine Choreographie unterhalb von Block 1 zu bewundern,
welche aus handgemalten(!) braunen und weißen Pappen bestand. Anfangs
wurde der Ausdruck „Papptafelchoreo“ sehr wörtlich genommen
Trotz dieser ersten Erfolge von Block 1 und den Passanten verließen
immer mehr Mitglieder die Gruppierung. Die Ursachen dafür waren interne
Unstimmigkeiten und Frust über die nur zähen Fortschritte.
In der Saison 98/99 bildete sich so langsam die dritte Generation der
Passanten, in der sich auch zunehmend jüngere Mitglieder (18-20 Jahre)
Gehör verschafften. Die Mentalität der Gruppe lässt sich wohl am Besten
anhand des damaligen Mottos „Alles für die Sache“ erklären. Das Ziel war
es die Singing Area eines Tages wieder aufzulösen, wenn die Stimmung im
Stadion besser geworden sein sollte.
Allgemein lässt sich die aufkommende Ultraszene in Deutschland zu der
Zeit so beschreiben, dass man sich freute, wenn im Gästeblock
Schwenkfahnen und Doppelhalter präsentiert wurden, da dies wahrlich
nicht an der Tagesordnung war. Dementsprechend verfasste man zu Beginn
der Saison auch einen Brief, den man an die Fanprojekte fast aller Erst-
und Zweitligisten schickte und in dem man anfragte, ob es in dem Verein
Ultras gäbe und wie diese ihre Aktionen durchführen bzw. an die
benötigten Materialien kommen würden.
Die Deutsche Ultraszene steckte gerade noch in den Anfängen ihrer
Entwicklung und das Internet bzw. irgendwelche Diskussionsforen waren
gänzlich unbekannt; himmlische Zeiten!
Das Hautpinformationsmedium war hingegen das Fachblatt „match live“,
welches direkt nach dem Erscheinen nach den neuesten Choreos aus dem In-
und Ausland durchblättert wurde. Einen Artikel für dieses Magazin wollte
man aber nie verfassen. Ähnlich wie alle anderen Ultragruppen war einem
dieses doch etwas zu suspekt, politisch gesehen. Weltklasse Anzeigen wie
z.B. „Suche Kontakt zu anderen Fans in Deutschland, außer St.Pauli“
taten ihres dazu.
Die eigene Gruppe prägten zu der Zeit klare Visionen und
begeisterungsfähige Mitglieder, jedoch gab es ein Problem, wie man mit
ungefähr 30 Mitgliedern, die im Monat 5 DM abdrückten, die ganzen tollen
Ideen finanzieren sollte.
Probleme gab es vor allem damit, geeignetes Choreomaterial in den
Vereinsfarben aufzutreiben. Braune Choreozettel oder Plastikbahnen wären
bei TIFO erst ab ziemlich hohen Absatzmengen produziert worden, die man
sich aber schlichtweg nicht leisten konnte. Als Alternative führte man
dann solche grandiosen Aktionen wie das Verteilen von 3000 winzigen
braunen und weißen Stofflappen, intern auch „Puschel“ genannt, durch,
deren optische Wirkung doch sehr begrenzt bzw. überhaupt nicht vorhanden
war.
Dennoch gab es in dieser Saison auch zahlreiche optische Höhepunkte, wie
z.B. die ersten Doppelhalter beim Deutchen-Ring-Pokal in der
Alsterdorfer Sporthalle, die erste Choreo über die ganze Gegengerade
gegen Oberhausen oder der Beginn des Rattenspruchbandkriegs gegen
Hannover, in den sich später sogar Braunschweiger einmischten.
Zur Erinnerung:
Hannover: Wir grüßen die Ratten auf Euren Schultern.
St.Pauli: Unsere Ratten haben Euch zum Fressen gern (Transpi mit zwei
Ratten, die eine „96“ annagten. Dazu ein Passant im Rattenkostüm, der
eine 96-Brezel verspeiste).
Hannover: Lieber von Ratten gefressen, als von Zecken gebissen.
St.Pauli: Hosen runter! Wir brauchen Kümmerlinge!
Braunschweig (beim Spiel gegen die St.Pauli Amateure): Hannover +
St.Pauli: Eure Ratten sind nur Löwenfraß.
St.Pauli: Mischt euch nicht in höherklassige Angelegenheiten ein (Dieses
Transpi wurde noch während des Spiels gemalt und am Ende präsentiert).
Stimmungstechnisch verbesserte sich nicht viel, ein eher langweiliger
Saisonverlauf trug seinen Teil dazu bei. Ein besonderes Highlight war
aber das Spiel der Amateure gegen Leverkusen in der ersten Runde des
DFB-Pokals am Millerntor, als 5.000 Zuschauer 90 Minuten total
durchdrehten und sogar der Gästetrainer Christoph Daum eine halbe Stunde
nach dem Spiel per Megaphon den St.Pauli-Fans seinen Respekt aussprach.
Stimmungstechnisch ein absoluter Fehlschlag war der Versuch des
Passantenmobs beim Spiel gegen Fürth in der Nordkurve für Stimmung zu
sorgen. Vielleicht waren aber Gesänge wie „Hurra, Hurra, die Passanten
die sind da“ beim Entern der Nordkurve für das ganze Vorhaben nicht
wirklich förderlich. Trotzdem wurde zu der Zeit, wie auch schon davor,
immer wieder vergeblich versucht eine Passantensektion in der Nordkurve
zu gründen. Zwar gab es derartige Gruppen immer wieder, aber es konnte
in der Nordkurve kein deutlicher Stimmungszuwachs erreicht werden.
Alle finanziellen Probleme wurden zum Ende der Saison gelöst, indem man
den Sonderzug der Mottoauswärtsfahrt nach Uerdingen schmückte und ca.
5000 DM (?) einnahm. Die Arbeit dafür wurde primär von drei Leuten
geleistet, die sich in wochenlanger Arbeit die Nächte im Fanladen um die
Ohren schlugen. Aber auch andere Aktionen, wie z.B. ein Bingonachmittag
im Clubheim oder eine Stadtteilrallye brachten einiges Geld in die zuvor
chronisch leeren Kassen.
Für viel Freude sorgten in der Saison die Amateure, die den Aufstieg in
die damals viergleisige Regionalliga schafften. Dementsprechend gab es
in der Aufstiegssaison einige nette Aktionen, wie die ironische
„Buh-Aktion“ gegen den ehemaligen Trainer Kurt Hesse beim Spiel gegen
Cordi oder die Pyroaktion beim letzten Heimspiel gegen Pinneberg am
Millerntor, die für eine Unterbrechung des Streetballturniers auf dem
benachbarten Heiligengeistfeld sorgte.
In dieser Saison gab es auch das erste offizielle Passanten T-Shirt zu
kaufen, auf dem sich vorne der Passantenschriftzug und hinten der Spruch
„Ihr für uns und wir für Euch“ befand.
Erwähnt werden soll auch noch die amüsante Auswärtsfahrt zu TeBe, als
die anwesenden Passanten das Spiel und den Sieg im Heimblock feierten,
was bei den Rentnern und TeBe-Fans nicht gerade für Freude sorgte. Gegen
Ende der Saison brach dann damals auch erstmals eine Passantendelegation
zur antirassistischen WM nach Italien auf und war dort damals eine von
drei deutschen Gruppen.
Die Freude über die Sonderzugeinnahmen aus der letzten Saison währte
allerdings nur kurze Zeit. Zu Beginn der Saison 99/00 bemerkte man, dass
ein damaliges Führungsmitglied einen Teil dieser Einnahmen veruntreut
und Hamburg Hals über Kopf verlassen hatte. Damit verbunden war mal
wieder ein Generationswechsel, der vierte insgesamt, denn die jüngere
Garde übernahm nun das Kommando. Das Problem dabei war allerdings, dass
nahezu alle Alten sich zurückzogen und kein Nachwuchs in entsprechender
Form vorhanden war. Ein selbst verursachtes Problem, sah man
Minderjährige Umbro-Pulliträger mit zurückgebundenem Schal auch noch
lange Zeit danach als unerwünschte Personen an. Dadurch bedingt und
verstärkt durch die für die damaligen Verhältnisse katastrophale
Zittersaison, nahm die Stimmung am Millerntor immer mehr ab.
Eine wenige Stimmungstechnische Höhepunkte, wie z.B. beim 3:1 Sieg in
Mannheim, der mit der eher unerwünschten Antifademo, prägten die Saison.
Ein weiteres Problem wurde währenddessen immer größer, der Vorwurf der
Elitenbildung in der Singing Area. Der traurige Höhepunkt dieses
Konflikts war das Heimspiel gegen Gladbach am 17.09.1999, als sich Teile
von Block 1 handgreifliche Auseinandersetzungen mit Teilen der
Gegengerade lieferten. Choreotechnisch hatte die Saison hingegen einiges
zu bieten: die gelben und roten Karten in der Gegengerade und Nordkurve
in der 12. Minute beim Spiel gegen Bochum (Hintergrund: In den beiden
Saisonspielen zuvor flog jeweils ein Spieler in der 12. Minute mit
gelb-rot vom Platz), eine braun-weiß-braune Gegengerade gegen Mannheim
und Aachen, die erste Auswärtschoreo in Bochum unter dem Motto
„Rotlichtviertel“, die Legenden-Choreo gegen den Glubb und als
abschließender Höhepunkt die erste Ganzstadion-Choreo im letzten Spiel
gegen Oberhausen unter dem Motto „Willkommen auf der roten Meile“, die
allerdings teils vom Verein und teils von Spendern finanziert wurde.
Nicht schlecht staunte man zu der damaligen Zeit auch, als plötzlich ein
Bericht über St.Pauli im damaligen Szeneblatt „match live“ erschien.
Zwar wurden in dem Bericht alle unsere Aktionen erwähnt und abgebildet,
der Name „Passanten“ fiel jedoch kein einziges Mal.
Mit der sportlich überragenden Aufstiegssaison 00/01, begann die
vielleicht schwierigste Saison der Passanten. Gab es zu Beginn der
Spielzeit noch gemeinsame Aktionen zusammen mit dem neu gegründeten und
ultraorientierten Fanclub „Carpe Diem“, wie z.B. die Choreo in Duisburg,
so kam es spätestens nach einigen internen Vorfällen beim Spiel gegen
Chemnitz am 18.03.2001 zu einem ordentlichen Streit, der auch die
folgenden Jahre nie wirklich beigelegt wurde. Zu viel Stolz und
Uneinsichtigkeit zweier damals nicht gerade überragender Gruppierungen
waren wohl die Hauptursachen dafür, dass man trotz ähnlicher Ziele nie
mehr wirklich zueinander fand. Der harte Kern der Gruppe schrumpfte in
dieser Zeit auf drei Mitglieder in Hamburg, eines in Bonn und eines in
Karlsruhe.
Spätestens jetzt sollte es sich rächen, dass man die Nachwuchsarbeit
lange Zeit stark vernachlässigt hatte. Nicht gerade überragende
Vorrausetzungen um die Stimmung in der Kurve zu verbessern oder gar zu
prägen. Dementsprechend war man an der Stimmung nur noch beteiligt und
konnte sie nicht mehr prägen.
Die Rolle der „Stimmungsmacher“ wurde zu der damaligen Zeit immer mehr
von Carpe Diem angenommen, zu Beginn aber auch mit sehr mäßigem Erfolg.
Optisch konnten nur einige wenige Akzente gesetzt werden, wie z.B. beim
erwähnten Spiel in Duisburg, im kleineren Umfang im Pokal gegen Schalke,
gegen die Stuttgarter Kickers, in Mannheim, beim Aufstiegsspiel in
Nürnberg, bei den PRO-15:30 Aktionen gegen Gladbach und in Saarbrücken
und bei der Choreo auf der Haupttribüne gegen Hannover, die sich aber
nur durch einer Sponsoring der Astra-Brauerei realisieren ließ.
Die Choreo in Duisburg erwies sich nicht gerade als Heldentat, kam man
sich aufgrund der 4:1 Klatsche und der Dauerfilmung durch die Polizei
auf die großartige Idee - nach dem Abzug des staatlichen Kamerateams -
mit den Zetteln und Tapetenbahnen ein kleines Lagerfeuer zu
veranstalten. Knüppelnde Polizisten (aufgrund der heftigen Gegenwehr in
Duisburg dann auch später in Gladbach) und eine Festnahme waren die
Folge. Schlimmer jedoch, dass auch durch solche Aktionen in vielen
Gästeblöcken bald darauf optische Aktionen verboten wurden. Unter dem
Namen „Support Group“ trat man in der Zeit immer selten auf, war man
doch der Meinung, dass dieser zu sehr an künstliche Konstrukte, wie den
AK-Stimmung in Leverkusen erinnerte.
Im Übersteiger überzeugte man damals mit der wunderschönen endlosen
Engelchen-Teufelchen-Geschichte, die von den Lesern beim jährlichen Poll
zum nervigsten Element des ÜS gewählt wurde (Noch vor den
Plattenkritiken!), Marketing halt mal anders.
Die vorerst letzte Erstligasaison 01/02 begann und dem kümmerlichen,
restlichen über Deutschland verteilten Passantenhaufen wurde klar, dass
es so nicht weitergehen konnte. Eine Auflösung stand aber nicht zur
Debatte, schon alleine um Carpe Diem nicht das Gefühl zu geben, der
Sieger der ganzen leidigen und kindischen Geschichte zu sein.
Das Ziel war klar, man musste neue engagierte Mitglieder gewinnen. Es
stellte sich nur die Frage, wie man das anstellen wollte, waren doch die
jüngeren Mitglieder der Fanszene längst Mitglied bei Carpe Diem. Die
Lösung fand man schließlich dadurch, dass man beschloss die Passanten
auch für passive Mitglieder zu öffnen und ganzen Fanclubs die
Mitgliedschaft zu erlauben.
In der Folgezeit dieses Beschlusses entstand die fünfte Generation der
Passanten. Durch die folgenden massiven Zugewinne an Mitgliedern ging
jedoch ein großer Teil der ursprünglichen Mentalität verloren. Viele der
neuen Mitglieder traten den Passanten nur bei, weil sie Teil eines
Mitgliedfanclubs waren oder weil sie dazu (teilweise im Suff) mehr oder
weniger überredet wurden.
Von den eigentlichen Zielen und Idealen der Passanten hatten ein Teil
der neu gewonnenen Mitglieder wenig bis keine Ahnung. Dies gipfelte
einige Jahre später in Diskussionen um eine klare Aussage gegen Pyro, da
dies ja eine Straftat darstellen würde und ein Ablehnung von Gewalt
gegenüber Faschisten. Geradewegs ein Traditionsbruch im Vergleich zu den
ursprünglichen Einstellungen der Passanten, besonders der der ersten bis
dritten Generation. Bedenkt man zusätzlich noch die Entstehung des Namen
Passanten, so könnte man fast schon von Ironie des Schicksals sprechen.
Durch die vielen neuen Mitlieder war es jedoch auch wieder möglich
größere Aktionen auf die Beine zu stellen. Aus choreotechnischer Sicht
gelang es dank der vielen Mitglieder, des inzwischen vorhandenen
Know-hows und der reichlichen Mitgliedsbeiträge, so viele Akzente wie
noch nie zu setzen: die „Elf-Asse-und-ein-König-Choreo“ gegen Hertha auf
der Haupttribüne, die beiden Derbychoreos zusammen mit dem aus Carpe
Diem vorgegangenen USP, die Riesentranspis gegen Leverkusen und
Stuttgart, die (leider wieder gesponsorte) Ganzstadion-Choreo gegen
Kaiserlautern und die FARE-Aktion gegen Rassismus in Köln. Zu erwähnen
sei auch noch das viel beachtete Spruchband gegen Cottbus „Ede Geyer
unser bester Freier“.
Stimmungsmäßig ging es gruppenintern zwar aufwärts, jedoch waren die
Mitglieder über das ganze Stadion verteilt. Zudem nahm die Stimmung in
Block 1 immer mehr ab, hier noch von der „Singing Area“ zu sprechen wäre
wohl stark übertreiben gewesen.
Dennoch gab es in der Saison auch stimmungsmäßige Höhepunkte, wie z.B.
das erste Spiel gegen Hertha BSC, das Spiel in Kaiserslautern, die
beiden Derbys oder der marketingtechnisch bis zum Erbrechen
ausgeschlachtete Sieg gegen Bayern (Weltpokalsiegerbesieger, für alle
die es vergessen oder verdrängt haben). Die Saison ging zu Ende, man
stieg als Tabellenletzter ab und auch die Passanten hatten sich mal
wieder verändert. Zwar hatte man inzwischen so viele Mitglieder wie nie
zuvor, jedoch waren darunter sehr viele unterschiedliche Meinungen
vertreten, das neue Motto „UNITED WE STAND - DIVIDED WE FALL“, hielt den
ganzen Laden aber noch zusammen.
Erwähnenswert ist noch, dass in dieser Saison erstmals die Homepage der
Passanten online ging und, dass sich in der damaligen Zeit die Kontakte
zu den Lost Boys Flingern aus Düsseldorf intensivierten.
Die Horrorsaison 02/03 stand an und erstmals war eine kleine
Passantendelegation mit der Mannschaft ins Trainingslager nach
Österreich gefahren. Bei einem Testspiel gegen Rapid verlor man dann
auch gleich das Passanten-Transpi an eine Gruppe auswärtiger Rapidbauern
(nicht an die Ultras oder Hools).
Ohne besondere Höhepunkte verlief auch diese Saison. Die Passanten
hatten mehr oder weniger ihre Rolle gefunden und die war leider mehr die
einer Bastelgruppe, als die einer Ultragruppe, welche auch die Stimmung
vorantreibt. Nur um eventuelle Missverständnisse auszuschließen, die
Passanten beteiligten sich zwar an der Stimmung, man konnte diese jedoch
im Vergleich zur Vergangenheit nicht mehr entscheidend mitprägen.
Entsprechend trat man auch auswärts nicht unbedingt als ein Mob auf,
sondern eher als viele kleine Einzelgruppen. Zu unterschiedlich waren
inzwischen die Ansichten der einzelnen Gruppenmitglieder geworden, die
Geister die man rief wurde man nur schwer los.
Die Preise von Block 1 wurden wieder normalisiert und die Karten auf dem
offiziellen Weg verkauft, da der Verein diesen Bereich des Stadions
nicht mehr als förderungswürdig ansah.
Die unterirdische Saison, insbesondere die Hinrunde, sorgte sowieso
dafür, dass den meisten St.Paulianern die Lust die Mannschaft zu
unterstützen abhanden gekommen war.
Für reichlich Unterhaltung sorgten, wie schon in der Vorsaison, die neu
gewonnenen, speziellen Freunde aus Gladbach.
Aufgrund der Katastrophalen Leistung der Mannschaft, beschränkte man
sich in der Saison zum größten Teil darauf Pro-Fans-Aktionen
durchzuführen.
Einige Choreos organisierte man trotzdem, z.B. zum ersten Heimspiel
gegen Ahlen eine „Wir rocken jede Liga und Ahlen uns in der Sonne“.
Aufgrund des eher peinlichen Mottos dieser Aktion, kann man im
Nachhinein die in der Saison 98/99 durchgeführte Puschelaktion wohl noch
als ein gelungener bezeichnen (und die war schon scheiße!).
Andere Aktionen konnten da weitaus mehr überzeugen, wie die Pro Demuth
Aktion in Lübeck, die Choreo im Pokal gegen Bremen, die erstmals
eingesetzten braunen und weißen Heliumluftballons gegen Frankfurt (was
man leider nie schaffte mit mehr Ballons zu wiederholen), die
Hamburgblockfahne in Karlsruhe (Danke noch einmal an die karlsruher
Unterstützer) und vor allen Dingen die mit USP-Unterstützung
durchgeführte Respektzollung an die Mannschaft beim letzten Heimspiel
gegen Duisburg.
Im Grunde genommen verlief diese Saison ohne jeglichen Fortschritt,
Stimmungstechnisch eher ein Rückschritt und optisch bewegte man sich auf
dem Niveau der Vorjahre. Als Höhepunkt kann deshalb wohl am ehesten die
Passanten-Party nach dem Heimspiel gegen Frankfurt und die eine oder
andere Bambuledemo nach den Abendspielen bezeichnet werden.
Ach ja, mit Merchandise konnten die Passanten in dieser Saison
auftrumpfen: T-Shirts in den unterschiedlichsten Farben, ein sehr billig
aussehender Pulli, ein gut gemeinter aber vom Hersteller billig
umgesetzter Schal und das „Ich will nicht darüber reden T-Shirt“ konnten
mehr oder weniger erfolgreich an den Mann gebracht werden.
Um die Kassen noch weiter aufzufüllen, wurden damals auch die Partywagen
auf einigen Sonderzugfahrten in Eigenregie organisiert.
Nach dem doppelten Abstieg erfolgte die Fortsetzung dieser Horrorshow
bereits vor dem Beginn der Saison 03/04 mit der Retterkampagne, bei der
unser Verein auch das letzt bisschen Würde verlor. Trotzdem beteiligten
sich Teile der Passanten daran und zogen tage- und nächtelang über den
Kiez, um Retter-Shirts zu verkaufen.
Das große Ziel der Gruppierung vor der Saison war es, sich endlich
wieder aktiver an der Stimmung zu beteiligen. Dazu fasste man den
Entschluss mit möglichst vielen Mitgliedern in Block 1 vertreten zu
sein, was eigentlich auch ganz gut klappte. Man konnte sich mehr an der
Stimmung beteiligen und diese selbst auch endlich wieder mehr prägen. Zu
Beginn der Saison konnte die Stimmung als richtig gut bezeichnet werden,
mit den zunehmend schlechteren Leistungen der Mannschaft und der
einsetzenden Verärgerung über den unfähigen (Fan-)Präsidenten, ließ
diese aber auch nach.
Trauriger Höhepunkt war hier wohl das Spiel gegen Kiel, als Teile der
Gegengerade und von Block 1 das Spiel schweigend beiwohnten und nach 30
Minuten verließen, um so gegen die vom Präsidium ausgesprochenen
Stadionverbote zu protestieren.
Optisch konnten in der Saison 03/04 neue Maßstäbe gesetzt werden, wie
die Qualität der Aktionen gegen Wuppertal und Chemnitz zeigten. Aber
auch sonst gab es einige nette Aktionen fürs Auge, wie die gemeinsame
Konfettiaktion mit PSP und USP gegen Dresden (auf einigen Bildern
scheint die Gegengerade zu explodieren), die Verkehrsschilder im
Miniderby, die Schokochoreo in Bremen, die Fahnen unter Block 1 gegen
Braunschweig oder die FARE-Aktion gegen Bremen.
Der neuen Problematik inzwischen gegen zahlreiche Amateurteams spielen
zu müssen wurde sich auch verstärkt angenommen und an einigen Spieltagen
dagegen protestiert.
Intern wurde die Spaltung der Passanten, trotz einer sehr gelungen
Sommerparty, hingegen immer mehr vorangetrieben, offene Streitigkeiten
unter Mitgliedern und Diskussionen, ob ein „Good Night White Pride“
Doppelhalter nicht zu gewaltverherrlichend sei, demonstrierten einen
Tiefpunkt an Uneinigkeit und einen deutlichen Kontrast zu den alten
Zeiten.
Neu im Programm waren hingegen zahlreiche Kochaktionen für den Fanladen,
um nach den Spielen wieder mehr Besucher in diesen zu locken.
Das inzwischen sage und schreibe neunte Passantenjahr stand mit der
Saison 04/05 an und die ersten Auflösungserscheinungen traten langsam
auf. Die wenigen übrig gebliebenen Mitglieder der zweiten und dritten
Generation waren eigentlich nur noch aus Tradition dabei, zu groß war
der Mentalitätsunterschied zwischen der Gruppe, der sie einst beitraten
und dem aktuellen Zustand, den man eher als Koch- und Bastelgruppe
beschreiben musste.
An der Stimmung beteiligte man sich als Gruppe eigentlich überhaupt
nicht mehr. Schon hier ist die deutliche Veränderung zur Ursprungsgruppe
aus dem Jahr 1996 zu erkennen. An den Nerven zerrte auch das nicht enden
wollende Vorhaben die Haupttribüne braun-weiß zu streichen. Offene
Streitereien traten mal wieder zu Tage.
Optisch konnte man noch ein paar Mal überzeugen, wie bei der „No Borders.
No Nations“ Aktion in Bremen oder den der braun-weißen Bahnenaktion
gegen Wolfsburg.
Schlussendlich war der aktuelle Zustand für die restlichen Mitglieder
der dritten Generation nicht mehr tragbar, so dass sie, bis auf ein
Mitglied, die Passanten schweren Herzens nach und nach verließen und
somit die finale sechste Generation entstehen ließen.
Dieser gelangen noch ein paar ganz nette Aktionen, wie z.B. die
Badenkappenaktion gegen Dortmund oder dem Asterixplakat im Miniderby.
Im Großen und Ganzen war aber schon zu dieser Zeit das Feuer innerhalb
der Gruppe erloschen. Zu viele der aktuellen Mitglieder wussten wohl
nicht, warum sie eigentlich Mitglied dieser Gruppe waren und welcher
Werte einst mit ihr verbunden wurden.
Trotzdem rettete sich die Gruppe noch in die letzte Saison 05/06. Hier
war man primär mit Kochen und Basteln beschäftigt, Maßnahmen zur
Beeinflussung der Stimmung gab es keine mehr.
Choreotechnisch gesehen näherte man sich beim Spiel gegen Erfurt, dem
Niveau der Ultras Duisburg an (wie es ein ehemaliges Mitglied so schön
sagte): Die „Auf zu neuen Ufern“ Aktion konnte weder optisch und
besonders nicht durch das ausgelutschte Motto überzeugen.
Die für alle wohl erlösende und von einigen ehemaligen Mitgliedern auch
herbeigesehnte Konsequenz war schließlich die Auflösung der Passanten
zum 31. Dezember 2005.
Zum Abschluss gab es noch mal eine wirklich sehenswerte
Ganzstadion-Choreo beim Pokalspiel gegen Hertha BSC, um anschließend
doch eher still und leise Tschüss zu sagen.
„United We Stand, Divided We Fall“ oder „Alles für die Sache“ galten
schon lange nicht mehr.
Was bleibt festzuhalten? Mit Sicherheit kann man sagen, dass die
Passanten lange Zeit ein prägendes Element der St.Pauli Fanszene waren.
Einige der von uns kreierten Gesänge, wie z.B. „Freude schöner
Fußballzauber“ oder „Aux Armes“ sind noch heute ein fester Bestandteil
der Liedguts am Millerntor und helfen somit doch noch ein bisschen die
Passanten, zumindest im Herzen, weiterleben zu lassen. Viele bis dahin
unbekannten Aktionen wurden am Millerntor erstmals von den Passanten
durchgeführt, wie z.B. die Einführung der Singing Area, die erste
richtige Choreo gegen Oberhausen (übrigens auch die erste in HH
überhaupt), der Einsatz von Schwenkfahnen, Megaphon und Doppelhaltern
und bilden somit unvergessliche Höhepunkte für alle Beteiligten.
Gerade das Gefühl der ersten gelungen Choreo oder der Stimmung beim
Spiel der Amateure gegen Leverkusen ist wohl nur schwierig zu
beschreiben.
Die Frage welche Entwicklung die ganze Sache hätte nehmen können, haben
sich viele ehemalige Mitglieder schon häufig gestellt. Auf den Punkt
bringt es wohl am besten die Aussage, dass wenn man mit den
begeisterungsfähigen und hoch motivierten Leuten der dritten Generation
schon das Know-how und die Finanzen der fünften Generation gehabt
hätten, die Geschichte mit Sicherheit ganz anders verlaufen wäre.
Irgendwann hatte man es verschlafen, der Gruppe eine prägende Mentalität
zu verpassen. Die Öffnung für Jedermann und die lange vernachlässigte
Nachwuchsarbeit trugen mit Sicherheit ihren gewaltigen Teil dazu bei.
Irgendwie besaßen die Passanten halt doch immer zu wenig von der
heutzutage so viel thematisierten Ultramentalität. Einiges über die
Geschichte der Passanten erfährt man auch im Buch „15 Jahre Fanladen St.
Pauli“, welches man für 25 Euro im Fanladen erwerben kann.
Zum Abschluss soll hier noch folgenden Personen gedankt werden: allen
ehemaligen Mitglieder (außer der Autorin aus Göttingen und der
Frittenverkäuferin), dem Team des Fanladens, Sven Brux, dem legendären
letzten Pfennig, Jolly Roger, Übersteiger und den Lost Boys Flingern.
Passanten St.Pauli
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